Träum dein Leben
Was will ich mit meinem Leben machen? Eine Frage, die schnell mal Stress auslöst. Das Orientierungsjahr Lebenstraum dröselt die großen Lebensfragen in praktische Schritte auf und hilft dir, sie anzugehen. Hannah Ponsel hat mal reingeschnuppert.
Ein Ort, an dem Träume Wurzeln geschlagen haben und Realität wurden, ist das Projekt Lebenstraum in Uffenheim im malerischen Steigerwald. Das nahe am Bahnhof gelegene Projektgebäude wirkt zunächst wie ein normales Miethaus, umgeben von einem Hof und einem großen, grünen Garten. Im vordersten Gebäudeteil lockt eine Pizzeria. Unter den vielen Klingelschildern des anschließenden Wohnbereichs, sticht eines heraus, weil es das Bild eines Waschbären trägt.
Ein Stückchen weiter hinten um die Ecke finde ich noch einen Hauseingang und klingele hier bei Stephan und Hanna Münch, den Visionären und Leitern des Projekts. Sie begrüßen mich herzlich in ihrer Familienwohnung. Seit nunmehr zehn Jahren leben sie hier, um junge Erwachsene zu begleiten, die ihrem Lebenstraum auf die Spur kommen möchten. Von ihren inzwischen teilweise erwachsenen vier Kindern, sind noch zwei zuhause. Ich erlebe die beiden als aufmerksame und einfühlsame Menschen, die eine große Offenheit und innere Stabilität ausstrahlen.
Zukunft unter Sonnenschirmen
Ihr Lebenstraum begann für sie mit der Suche nach einer gemeinsamen Vision. Stephan erzählt, wie sie zusammen das Buch „kreative Lebensplanung“ durchgearbeitet hatten, an dessen Ende man ein Bild malen sollte, wie man sich seine Zukunft vorstellt. „Wir haben ein Haus gemalt, in dem wir als Familie wohnen und daneben noch ein zweites Haus, in dem junge Leute wohnen, die wir unterstützen, coachen und begleiten. Hanna wollte auch gerne ein Café dabeihaben, als Begegnungsort. Dafür haben wir noch Sonnenschirme zwischen die Häuser gemalt.“
Jahre später hatte Stephan auf der Osterkonferenz in Gunzenhausen einen Eindruck im Gottesdienst: Er sah viele junge Leute, die ihr Leben Jesus zur Verfügung stellen wollten. Er und Hanna gingen wieder intensiv ins Gespräch, wie sie junge Erwachsene auf ihrem Weg begleiten könnten. Sie beteten und planten. Das Grundkonzept von Lebenstraum entstand. Auf der Suche nach Unterstützern, Geldern und einem geeigneten Haus passierte viel Wundersames. Stephan berichtet mir, wie sie einen Mann kennengelernt hatten, der schon länger das alte Bahnhofshotel in Uffenheim auf dem Herzen hatte. „Er wusste noch gar nicht, was daraus werden könnte, aber irgendwie ließ es ihn nicht los. Wir sind mit ihm zusammen dahingefahren und das Erstaunliche war, dass das Gebäude fast genauso aussah, wie unser selbstgemaltes Bild.“
Hanna erinnerte sich daran und holte die alte Zeichnung aus irgendeiner Kellerablage wieder hervor. Das Gebäude konnte gekauft und umgebaut werden und das Projekt ist seitdem hier eingemietet – mit Münchs Wohnung auf der einen Seite, mittig einer einladenden Terrasse mit Sonnenschirmen und auf der anderen Seite Wohnungen für die Teilnehmer, Büroräumen und Gästezimmern.
WG-Alltag mit Perspektive
Dieses Jahr feiert das Projekt sein zehn-jähriges Bestehen – und trifft noch immer voll den Zeitgeist. Denn Fragen wie „Was soll ich nach der Schule bloß machen? Was wäre mein Traumberuf? Was kann ich eigentlich? Hat Gott eine Vision für mich? Habe ich eine?“, kennen so viele junge Erwachsene und genau diese werden hier bearbeitet. Zehn Monate, von September bis Juni, dauert diese Lebensgemeinschaft auf Zeit, deren Ziel ein konkreter Plan für die nächsten Jahre ist. Dabei stehen intensives WG-Leben, Alltagsbewältigung mit eigener Haushaltung, Schulungen in den Bereichen Persönlichkeitsentwicklung, Berufsfindung und geistliches Leben auf dem Programm.
Die diesjährigen Lebensträumer fühlen schon ein bisschen Abschiedsschmerz, wenn sie auf ihre Zeit hier zurückblicken. Ich besuche sie während ihrer WG-Zeit, wir sitzen auf dem Balkon in der warmen Frühlingssonne. Spürbar ist, welche Offenheit und tiefe Verbundenheit in der Gruppe besteht, trotz sehr individueller Geschichten und Persönlichkeiten . „Was kochen wir denn diese Woche?“, ist gerade die zentrale Frage, aber sie tauschen sich auch darüber aus, wo es im Zusammenleben hakt und wie es den Einzelnen geht. „Man lernt sich hier schon echt gut kennen.“, sagt Cora, eine der Teilnehmerinnen, lachend.
Die bis zu 16 Teilnehmer wohnen verteilt auf zwei WGs überwiegend in Zweibettzimmern. Die WGs kaufen gemeinsam ein, teilen sich Putz- und Kochdienste, unternehmen viel und feiern miteinander. Die Wohnungen sind hell und großzügig ausgelegt. Die Lebensträumer haben ein Auto für Einkäufe und sonstige Fahrten zur Verfügung. Im Garten kann nach Herzenslust gegrillt, gechilled, geslacklined oder gegärtnert werden.
Kurzeinsatz in Rumänien
Alle hier auf dem Sonnenbalkon sind sich inzwischen sicher, wie es im Sommer für sie weitergeht. Sie haben durch die Schulungen, Praktika, Gebete, Gespräche und Erfahrungen der letzten Monate zu konkreten Ausbildungs- und Studienplätzen gefunden. Sie sind zukunftsmutiger, selbstbewusster, erfahrener und zielorientierter geworden. „Ich beginne im September eine Ausbildung zur Logopädin in Augsburg“, erzählt mir Lea erfreut. Cora möchte ein Studium in Psychologie beginnen.
Momentan beschäftigt die Teilnehmer vor allem der bald anstehende missionarische Kurzeinsatz in Rumänien. „Wir wissen eigentlich noch gar nicht, was uns dort erwartet. Ich hoffe, es gibt Dolmetscher“, überlegt Emma. Jedes Orientierungsjahr gestalten die Projektleiter Hanna und Stephan unterschiedlich, je nachdem welche Teilnehmer kommen und was sie mitbringen und wollen. „Etwas, das man bei uns auf jeden Fall lernt, ist Flexibilität“, erzählt mir Hanna lächelnd.
Gleich in den ersten Wochen geht es los mit einem Kennenlernwochenende, einer praktischen Einführung in die Hauswirtschaft und einem Berufsfindungsworkshop. In drei Wochenpraktika können Teilnehmende sich in der darauffolgenden Zeit in konkreten Berufsvorstellungen ausprobieren. Darin werden sie mit Bewerbungstrainings und Coachings begleitet.
Programm nach Persönlichkeit
In verschiedenen Seminaren und Workshops zum Thema Persönlichkeit lernen die Teilnehmer ihre Stärken und Schwächen kennen. Dazu gehören zum Beispiel auch ein Selbstverteidigungs- und ein Gesangsworkshop. Ein persönlicher Mentor steht jedem zur Seite – es geht wirklich darum, jede und jeden einzelnen zu sehen und individuell zu fördern.
Je nachdem, wo die einzelnen Fähigkeiten und Interessen liegen, gibt es verschiedenste weitere Aktivitäten zur Auswahl, wie die Möglichkeit, die Ortsgemeinde als Lobpreisband zu unterstützen, Kreativangebote, bei denen sich nicht nur Künstler ausleben können, und gemeinsamer Sport. „Unsere diesjährige selbstgegründete Lobpreisband heißt ‚Arise‘“, erzählt Emma erfreut. „Es macht viel Spaß, miteinander zu proben.“
Lebenstraum will nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wirken: Durch Gemeindeeinsätze und soziale Projekte, bei denen Kinder betreut, Senioren besucht oder Konfirmations-Unterricht unterstützt wird. In diesem Jahr besuchten die Lebensträumer monatlich eine Wohneinrichtung mit Jugendlichen aus dem Strafvollzug, und halfen wöchentlich bei einem offenen Kinderprogramm in der örtlichen Stadthalle mit. „Die Kids sind oft ganz schön herausfordernd aber es ist auch echt schön zu sehen, wie begeistert sie bei unserem Programm mitmachen“, erzählt mir Larissa.
Glaube festigen und vertiefen
Ein weiteres zentrales Thema von Lebenstraum ist die Vertiefung des eigenen Glaubens. Mit verschiedenen Dozenten lernen die Teilnehmer die Bibel besser kennen und beschäftigen sich mit unterschiedlichen theologischen Fragestellungen. Diese Woche hat die WG sich mit dem Römerbrief beschäftigt. „Das war bisher für mich eins der besten Seminare“, sagt Larissa strahlend. „Ich fand´s super, wie auf unsere Fragen eingegangen wurde und wir vieles ganz ausführlich diskutieren konnten.“
Die Tage beginnen mit einer gemeinsamen Morgenandacht, bei der gesungen, gebetet und im Wechsel ein Andachtsbuch und die Bibel gelesen wird. Es gibt „stille Tage“, an denen sich die Teilnehmer ganz bewusst Zeit fürs Hören in ihr Inneres und auf Gott nehmen. Viele verschiedene kreative Wege, Glauben zu leben, werden ausprobiert. Das Ziel ist, dass der Glaube gefestigt wird, sich im Alltag bewährt und durchträgt.
Auf der Osterkonferenz in Gunzenhausen hat die WG gerade einen Infostand über das Projekt betreut. Jetzt erfahre ich, was es mit dem Waschbär-Bild am Klingelschild auf sich hat: Am Werbestand hatten sie ein Waschbärenkostüm dabei, das nun als Maskottchen und Werbeträger eingeführt wurde.
Kennst du deinen Lebenstraum?
Hanna und Stephan leben das, was im Projektnamen steckt: Lebens-Traum, die Verbindung von ganz alltäglichem Zusammenleben mit dem Bewusstsein, dass wir Teil von Gottes Geschichte sind – dass er in uns und mit uns wirkt und über unsere Vorstellungen hinaus handelt. „Wir haben durch viele Hochs und Tiefs erlebt, dass Gott es wohl machen wird. Wir sind gespannt, was noch passieren wird und freuen uns darauf.“
Klingt nach ganz schön viel? Ja, Lebenstraum ist eine intensive Zeit – eine Zeit, die dich herausfordern, einnehmen, verändern will. Eine Zeit, in der du mit aufmerksamen, liebevollen Begleitern ganz schön vorankommen kannst – wenn du das möchtest. Eine Zeit für dich, deinen Glauben, deine Persönlichkeit, deinen Berufswunsch, deine Vision. Eine Zeit für Gott, für die dir anvertrauten Aufgaben, für Erfahrung und Gemeinschaft.
Hanna Ponsel investiert sich zur Zeit in einem inklusiven Montessori Kinderhaus in die Träume von ganz kleinen Menschen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift DRAN 4-2024